Noch 238 Tage bis zur Wahl: Die „Logik“ der Populisten

Vielleicht finden Sie den ein oder anderen Gedanken der sogenannten „Neuen Rechten“ gar nicht so uninteressant. Vielleicht gibt es ja Argumente, die Sie für gar nicht so abwegig halten? Oder Sie kennen jemanden, auf den das zutrifft? Dann hilft es vielleicht, wenn Sie sich deren Logik und Argumentationsmuster etwas genauer ansehen.

Mir sind in den öffentlichen und auch privaten Diskussionen der letzten anderthalb Jahre immer mal wieder einige typische Logikfehler aufgefallen, die jeder für sich eher lässlich sind, systematisch angewendet aber genau das Dickicht aus Halbwahrheiten und Fehlschlüssen ergeben, aus denen Verschwörungsideologien ihre scheinbare Überzeugungskraft gewinnen. Diese Fehler sind hochtoxisch, weil man leicht auf sie hereinfällt und erst sehr spät – und manchmal auch gar nicht – merkt, dass man in Gelände geführt wurde, das allen eigenen Werten Hohn spricht. Hier also meine persönliche Hitliste:

  • Selektive Wahrnehmung: Wer sich im Wesentlichen auf Seiten wie PI-News und Russia Today informiert, bekommt – entgegen jeder Statistik schnell den Eindruck, Deutschland würde unter Ausländerkriminalität ins Chaos abrutschen. Der Mechanismus ist sehr einfach: Wenn man jeden Fahrraddiebstahl eines Ausländers groß herausbringt, schwerste Verbrechen durch Deutsche, wie den Fall Höxter oder den NSU aber nicht thematisiert, verändert sich schnell die Wahrnehmung der Leser. Nachdem der Mensch ohnehin zu „Bestätigungsfehlern“ neigt, wird so ein selbstverstärkender Prozess im Kopf des Lesers in Gang gesetzt: Grölende Jugendliche benehmen sich dann nicht einfach nur schlecht, sondern sind ein weiterer Beleg für den Untergang des Abendlandes, vorausgesetzt, sie haben dunkle Haare und Augen. Selektive Wahrnehmung ist eine Grundvoraussetzung für Vorurteile und für politischen Extremismus jeder Couleur. Das beste Gegenmittel ist es, auch die eigene Wahrnehmung immer wieder bewusst zu hinterfragen: Was müsste ich sehen, um meine Meinung zu ändern? Und wo kann ich es sehen?
  • Ex falso quod libet: Bei diesem beliebten Fehler werden scheinbar logische Schlussfolgerungen aus unsinnigen Annahmen gezogen (was mathematisch gesehen immer korrekt ist). Ein schönes Beispiel für diesen Fehler war die Diskussion um den Familiennachwuchs von Geflüchteten: „Wenn eine Millionen Flüchtlinge kommen und jeder sieben Familienmitglieder nachholen darf, kommen acht Millionen Menschen“ wurde behauptet. Die Gefahr dieses Musters liegt darin, dass die Aussage erst mal korrekt gerechnet ist und daher plausibel erscheint, obwohl die Voraussetzungen völlig aus der Luft gegriffen sind. Dass im letzten Jahr nur knapp 80.000 Menschen per Familiennachzug kamen, zeigt die offensichtliche Fehlrechnung. Oft werden bei den (falschen) Voraussetzungen verbreitete Vorurteile bedient, wie in diesem Beispiel. Das mindert die Gefahr, dass die Zuhörer die Voraussetzungen hinterfragen und erhöht die Chance, dass sie brav die anschließenden korrekten logischen Schritte mitgehen Richtung Angst, Hass und Ressentiment.
  • Kategorisierung: Will man über gesellschaftliche Themen sprechen, muss man Menschen in Kategorien einordnen. „Deutsche Staatsbürger“ ist nun mal leichter zu handhaben, als alle 80 Millionen Individuen aufzuzählen. Allerdings kann man durch die Wahl entsprechender Kategorien fast jede beliebige Aussage rechtfertigen. Wer Menschen nach ihrer Hautfarbe kategorisiert, wird Abseits dermatologischer Fragestellungen sehr schnell in die gefährlichen Gewässer des Rassismus geraten. Was ich messe, das sehe ich und wenn ich die Menschheit nur noch in „Deutsche“ und „Flüchtlinge“ einteile werde ich jedes beliebige Vorurteil bestätigt finden (was ist eigentlich mit all den Nicht-Deutschen Nicht-Flüchtlingen?). Das gleiche gilt, wenn ich von „den Politikern“ oder „den Journalisten“ rede, und ihnen vermeintlich bestimmte, meist negative Eigenschaften zuschreibe. Die Gruppen sind jeweils so groß und so heterogen, dass man dann für fast jede Aussage Beispiele anführen kann. Und Hand auf’s Herz: Wer hat noch nie zustimmend genickt, wenn es einmal wieder hieß „Die Politiker sind…“? Statt zu nicken wäre die Frage „Kennst Du auch Politiker, bei denen das nicht der Fall ist?“ viel hilfreicher.
  • Falsche Umkehrschlüsse: Wenn es regnet, werde ich nass. Aber wenn ich nass werde, bedeutet das noch lange nicht, dass es regnet. Ich könnte auch unter der Dusche stehen. Wenn ein Terrorist aus Syrien kommt, heißt das noch lange nicht, dass Syrer Terroristen sind. Wenn einzelne Menschen die Sozialhilfe missbrauchen bedeutet das noch lange nicht, dass Sozialhilfeempfänger alle Betrüger sind. Genau solche falschen Umkehrschlüsse findet man aber zuhauf in den einschlägigen Diskussionen. Sie sind einfach zu enttarnen, wenn man das Prinzip einmal auf sich selbst anwendet: Andreas Baader, Uwe Böhnhardt, Gudrun Ensslin und Uwe Mundlos waren alle Deutsche und sie waren Terroristen. Ich bin ebenfalls Deutscher, aber deshalb noch lange kein Terrorist.
  • Korrelation und Ursache verwechseln: „Das Bett ist der gefährlichste Ort der Welt, schließlich sterben über 90% der Menschen im Bett“. Dieses Schema wird gerne im Zusammenhang mit der Kriminalitätsstatistik eingesetzt, um scheinbar nachzuweisen, dass Deutsche weniger kriminell wären, als Nicht-Deutsche. Es ist nicht wirklich erstaunlich, wenn Mitglieder international tätiger Drogenkartelle oder Terrorgruppen in den meisten Ländern, in denen sie kriminell tätig werden, Ausländer sind. Das liegt aber nicht daran, dass Nicht-Deutsche krimineller wären, als Deutsche, sondern in der Natur der jeweiligen Organisation. Es ist auch nicht erstaunlich, dass die Anhänger des IS überwiegend Moslems sind – im Gegensatz übrigens zu den Anhängern rechtsextremer Terroristen, bei denen Moslems eher unterrepräsentiert sind. In all diesen Fällen findet man statistische Korrelationen, die aber höchstens auf indirekt ursächliche Zusammenhänge hinweisen. Kriminalität hat seine Ursachen in der Regel im sozialen Umfeld, nicht in Nationalität, Religion oder Abstammung. Wenn es hier Kreuzkorrelationen gibt, sagt das etwas über soziale Ungleichheiten aus und ist kein Beleg für rassistische, antiislamische oder nationalistische Vorurteile.

Alle diese Logikfehler sind tief in uns angelegt und wir alle machen sie immer wieder. Wenn man sich selbst dabei ertappt, kann man sich korrigieren. Für die Demokratie gefährlich werden diese Argumentationsfehler, wenn sie bewusst und systematisch eingesetzt werden, um menschenverachtendes Gedankengut scheinbar zu legitimieren. Wirklich toxisch wird es, wenn Konstrukte eingesetzt werden, die gegen Nachfragen und Zweifel immunisieren. Die beiden häufigsten sind:

  1. Delegitimierung anderer Quellen: Wenn man die Behauptung aufstellt, Wissenschaftler seien ohnehin alle gekauft, muss man sich nicht mehr damit beschäftigen, dass 98% der Klimawissenschaftler darin übereinstimmen, dass derzeit ein menschengemachter Klimawandel stattfindet und auch nicht mehr mit ihren (übrigens ziemlich guten) Argumenten. Wenn man behauptet, alle Journalisten seien unter Kontrolle der Regierung und nur die eigenen Informationen seien nicht gelogen, dann immunisiert man seine Anhänger gegen jeden kritischen Gedanken. Man baut eine in sich geschlossene Verschwörungsideologie auf. Das war der eigentliche Sinn, warum Joseph Goebbels den Begriff der „Lügenpresse“ eingesetzt hat: Er wollte seiner eigenen Propaganda die Alleinvertretung verschaffen, indem er die freie Presse diskreditiert. Wer heute diesen Begriff nutzt, ist sich dessen bewusst.
  2. Opferrolle: Wenn man mit verhaltensauffälligen Jugendlichen arbeitet, kennt man dieses Muster nur zu gut. Das Gegenüber wird so lange provoziert, bis er angreift. Dann stellt man sich selbst als das Opfer dar. Wer wirklich Opfer ist, der genießt Schonung, verdient Mitleid und darf Notwehr einsetzen. Dieser Grundkonsens der Menschlichkeit wird hier skrupellos missbraucht. Auch das ist ein bekanntes Muster aus dem letzten Jahrhundert. Es dient nicht nur dazu, den Gegner mundtot zu machen, sondern macht die eigene Bewegung auch attraktiv für andere, die sich – berechtigt oder nicht – ebenfalls als Opfer sehen. Wer es heute politisch einsetzt, weiß, in wessen Tradition er steht.

Um die Gesamtkonstruktion zu verstehen, kann man in Martin Morlocks „Hohe Schule der Verführung nachlesen:

„Demagogie betreibt, wer bei günstiger Gelegenheit öffentlich für ein politisches Ziel wirbt, indem er der Masse schmeichelt, an ihre Gefühle, Instinkte und Vorurteile appelliert, ferner sich der Hetze und Lüge schuldig macht, Wahres übertrieben oder grob vereinfacht darstellt, die Sache, die er durchsetzen will, für die Sache aller Gutgesinnten ausgibt, und die Art und Weise, wie er sie durchsetzt oder durchzusetzen vorschlägt, als die einzig mögliche hinstellt.“ (zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Demagogie)

Demagogie ist ein Grundpfeiler des Totalitarismus.

Noch 246 Tage bis zur Bundestagswahl

tldr; Die nächste Bundestagswahl entscheidet nicht (nur) über zukünftige parlamentarische Mehrheiten, sondern ob Deutschland als freies Land erhalten bleibt. Zu hoffen, dass schon alles gut gehen wird, ist mit Blick auf die Ereignisse des letzten Jahres zu gefährlich. Wir haben noch 246 Tage Zeit, mehr als 70 Jahre Frieden zu verteidigen.

Noch ist der Wahltermin am 24. September 2017 nicht amtlich, aber es wird wohl auf ihn hinaus laufen. Dann sind es noch 246 Tage bis zum entscheidenden Datum. Und diese Wahl wird anders, als die bisherigen Wahlen, an denen ich teilgenommen habe. Früher ging es darum, ob Kohl Kanzler bleibt (meistens blieb er es auch gegen meine Stimme), oder ob Deutschland ein wenig neoliberaler oder doch ein Quäntchen ökologischer werden sollte (meistens wurde es auch gegen meine Stimme etwas neoliberaler). Alles wichtige Fragen, aber keine, die unseren Staat in seiner Substanz angegriffen hätten. Diesmal ist es anders.

Zum einen ist der internationale Kontext anders. Mit Polen zeigt uns die führende Nation Osteuropas, wie schnell eine prosperierende und sympathische Demokratie in eine Parteiendiktatur abrutschen kann, stets unter Hinweis auf eine angebliche Mehrheit. Für Polen besteht noch Hoffnung, Ungarn hat sich längst in die rechtsautoritäre Autokratie verabschiedet und die Türkei, ein Staat mit dessen Bürgern viele Deutsche mittlerweile engste Familienbande unterhalten, weil ihre Eltern oder Großeltern von dort stammen, wandelt Erdogan eine mühsam aufgebaute Demokratie in atemberaubendem Tempo um in eine folternde, faschistoide Klerikaldiktatur. Wohl gemerkt, alle drei Staaten sind Mitglieder der NATO, zwei von ihnen Mitglied der EU.
Offen ist derzeit noch, welche Folgen die Ernennung eines offensichtlich unter einer narzistischen Persönlichkeitsstörung leidenden Reality-TV-Pöblers und dem sich daraus ergebenden Machtgewinn einer seit Jahren am rechtsextremen Rand mäandernden Tea Party für die USA hat, dem wichtigsten Führungsstaat der westlichen Welt. Es braucht aber eine Menge Phantasie, um da noch auf positive Szenarien zu kommen.
Mit dem Brexit hat sich Großbritannien als eine weitere Führungsmacht des Westens zwar nicht auf antidemokratischen Kurs begeben, aber zumindest als Folge einer typisch rechtspopulistischen Lügenkampagne aus seiner internationalen Verantwortung und Führungsrolle verabschiedet und um Frankreich als weitere demokratische Führungsmacht noch am Jahresende zu sehen, braucht man schon eine gehörige Portion Optimismus.

Bleibt noch Deutschland. Man kann durchaus trefflich über die aktuelle Regierungspolitik streiten, aber noch funktionieren bei uns die Regeln der Demokratie, haben wir eine freie Presse, freie Meinungsäußerung und ein freies, respektiertes Verfassungsgericht. Wer wie ich als erklärter Gegner der bayerischen Staatsregierungspartei seit über 40 Jahren in Bayern lebt, weiß die Segnungen der demokratischen Minderheitenrechte durchaus zu schätzen, ebenso die Fähigkeit, Unterschiede aushalten zu können und Differenzen friedlich beizulegen.
Machen wir uns nichts vor: Genau darum geht es bei dieser nächsten Wahl. Werden wir weiterhin die Rechte von Minderheiten und Opposition schützen? Werden wir weiterhin eine Presselandschaft haben, in der Zeitungen von der Welt und FAZ bis zur taz möglich, wertgeschätzt und erwünscht sind? Oder gerät auch Deutschland als eine der letzten Bastionen der liberalen Demokratie in den Strudel der Rechtspopulisten? Menschen, die Demokratie mit der Diktatur der Mehrheit verwechseln; die Freiheit missverstehen als ihre eigene Freiheit, nach Herzenslust rumpöbeln zu können und nicht vor allem als die Freiheit ihrer Mitmenschen, anders sein zu können, als sie selbst; die Loyalität verwechseln mit äußerlicher Homogenität?
Es ist wahr, die einzelne Stimme bewirkt nicht viel, aber wir haben noch 246 Tage Zeit, mit anderen zu sprechen, sie zu sensibilisieren, dass komplizierte Probleme nicht mit einfachen Haudrauf-Lösungen lösbar sind. Dass über 70 Jahre Frieden kein Zeichen von Schwäche sind, sondern von der enormen Stärke, viele verschiedene Lebensentwürfe zu ermöglichen und wertzuschätzen, auch wenn sie nicht den eigenen entsprechen. Nicht Homogenität macht die Stärke unseres Landes und unserer Gesellschaft aus, sondern Diversität, Toleranz und gegenseitiger Respekt.
Es gibt im September genügend Parteien zur Auswahl, die diese Werte nach persönlichem Geschmack ausgestalten. Vermutlich gibt es keine Partei, mit der man völlig übereinstimmt, aber Demokratie besteht nun einmal nicht unbedingt darin, dass die Besten an die Macht kommen (wer immer das sein mag), sondern dass die Macht so weit begrenzt und kontrolliert wird, dass auch ganz normale Menschen mit allen ihren Fehlern nicht allzu großen Schaden anrichten können. Das ist mühsam, sichert aber wirkungsvoller Frieden und Wohlstand als jeder andere bekannte Ansatz.
Es ist ein zentrales Element rechtspopulistischer und rechtsextremer Rhetorik, diesen erreichten Frieden und Wohlstand zu zerreden und mit tendenziöser und zum Teil auch erlogener „Berichterstattung“ ein Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung zu erzeugen – im klaren Widerspruch zu allen verfügbaren Statistiken und Fakten. Sie vermitteln den Eindruck eines „Failed State“, um die Demokratie und ihre Mechanismen zu diskreditieren (oder – in leichteren Fällen – Wähler abzufischen). Gegen dieses hoch wirksame Gift können wir uns wehren, jeden Tag, bei Freunden, Bekannten und Kollegen.
Wer die Kontrollmechanismen der Demokratie diskreditiert, die Presse unkritisch als Verschwörer und Lügenschleudern darstellt und systematisch die Grenze des sagbaren verschiebt hin zu Menschenverachtung und Demokratiefeindlichkeit, wer die normalen und leider auch weniger normalen Unwägbarkeiten des Lebens zum angeblichen Staatsversagen aufbläst, der präsentiert keine besseren Lösungen, sondern bereitet nur den Boden, auf dem Hass und Gewalt wachsen. Der zerstört die Basis unseres Friedens.
Es sind noch 246 Tage, das zu verhindern. Wer glaubt, das wird sich schon von alleine richten, hat – wie ich – vermutlich auch geglaubt, der Brexit würde scheitern, die PIS wäre wohl nicht so schlimm, Erdogan wird schon wieder zur Vernunft kommen und Trump wird nie Präsident der USA werden. Jeder wird sein Schärflein dazu beitragen müssen, dass wir die deutsche Demokratie nicht in diese Liste einordnen müssen. Nicht nur am 24. September, sondern vor allem bis zum 24. September. Fangen wir an.

11. Februar: The Day we Fight Back“ gegen NSA Massenüberwachung

tl;dr (Für Eilige)

Die Massenüberwachung des Internets zerstört unsere Demokratie und liefert uns Kriminellen und Geheimdiensten aus. Beteiligen Sie sich am Day we Fight Back, um ein Zeichen dagegen zu setzen.

Worum geht’s?
Am 11. Februar veranstaltet ein breit aufgestelltes Aktionsbündnis den „Day we fight back„, eine internationale Protestaktion möglichst aller Internetnutzer gegen die Massenüberwachung von NSA, GCHQ und anderen Geheimdiensten. Es soll die bisher größte Massenprotestaktion im Internet werden.

Was ist geplant?
Möglichst viele Bürger sollen sich am 11. Februar in E-Mails und Telefonanrufen an ihre gesetzgebenden Organe wenden und Einspruch einlegen gegen die Massenüberwachung. In den USA sind das die Kongressabgeordneten. In Deutschland könnten wir Regierungsmitglieder wie den Außenminister, den Innenminister, den Justizminister oder die Bundeskanzlerin bitten, sich für die Sicherung unserer Grundrechte einzusetzen und diplomatische Schritte einzuleiten. Den Generalbundesanwalt könnten wir bitten, die anhängigen Strafanzeigen zügig zu bearbeiten. Den Bundestagsabgeordneten Ihres Wahlkreises könnten Sie bitten, einen entsprechenden Untersuchungsausschuss zu unterstützen. Und natürlich dürfen sich auch deutsche Staatsbürger mit Bitten an US Gesetzgeber oder den Präsidenten wenden. Weitere Details zu der Aktion findet man unter https://www.thedaywefightback.org oder in deutscher Sprache bei iRights.

Damit ausreichend Menschen davon erfahren, können wir Informationen über die Aktion in Blogs und sozialen Netzwerken austauschen und es steht auch ein Overlay für Profilbilder zur Verfügung.

Warum sollte ich mich beteiligen?

Nur ein paar wenige der Fakten, die in den letzten sechs Monaten herausgekommen sind (siehe auch z.B. Süddeutsche.de):

  • Das Ziel von NSA, GCHQ und den anderen beteiligten Geheimdiensten ist die vollständige Überwachung von Internet und Mobiltelefonie
  • Aufgrund der aktuellen Rechtslage kann die NSA jede amerikanische Internetfirma zwingen, ihr Zugang auf die Daten eines Kunden zu gewähren. Das heißt konkret, dass die NSA zum Beispiel Zugriff auf alle Suchanfragen dieser Person bei Google erzwingen kann und damit von praktisch jedem Internetnutzer ein weitgehend vollständiges Persönlichkeitsprofil erstellen kann. Dieser Zugriff erfolgt auf Anordnung eines Geheim“gerichts“, das keine Verteidiger kennt und dessen Urteile geheim sind. Die Betroffen dürfen also nicht einmal erfahren, dass sie so umfassend ausgespäht wurden. Das ist Pseudogerichtsbarkeit, die rechtsstaatliche Prinzipien vollständig aushebelt. Im ersten Halbjahr 2013 wurden alleine bei den großen Internetkonzernen mindestens 59000 Nutzerkonten auf diese Weise ausgeforscht.
  • Die NSA nutzt diese Daten zur Wirtschaftsspionage. So ist unter anderem der brasilianische Ölkonzern Petrobas Opfer eines breit angelegten Angriffs geworden
  • Die NSA hat die Mobiltelefone der Staatschefs von 35 Ländern abgehört, darunter Angela Merkel und Gerhard Schröder
  • Der GCHQ ist mit technischer Hilfe der NSA in die Infrastruktur des belgischen teilstaatlichen Telekomproviders Belgacom eingedrungen, um Zugriff auf Mobiltelefone in Belgien zu bekommen und damit das belgische Fernmeldegeheimnis zu unterminieren
  • Die NSA investierte 2013 25,1 Mio $ in den Schwarz- und Graumarkt für Sicherheitslücken in Betriebssystemen. Auf diesem Markt werden Informationen über potenzielle Angriffswege an Kriminelle und Geheimdienste verkauft, statt sie zur Behebung an die Hersteller zu melden. Damit ist die NSA der mit Abstand zahlungskräftigste Mitspieler in diesem Markt, der uns Alle Angriffen von Kriminellen und Geheimdiensten aussetzt.
  • Die NSA erfasst „vermutlich“ die Verbindungsdaten der Telefone von Kongressabgeordneten und ihren Mitarbeitern, späht mithin die demokratisch gewählte amerikanische Legislative aus.

Diese und viele weitere nachgewiesenen und von der NSA nicht dementierten und zum Teil sogar bestätigten Fakten lassen Vermutungen über das Können der NSA zu, insbesondere da erst ein Teil der Unterlagen von Edward Snowden ausgewertet und veröffentlicht wurden.

Eine gar nicht so unrealistische Überlegung: Die NSA dürfte in der Lage sein, binnen weniger Tage über jeden beliebigen Internetnutzer und/oder Mobiltelefonnutzer weltweit ein umfassendes Dossier anzulegen – wenn sie das nicht ohnehin tut. Das bedeutet das wohl umfassendeste Erpressungs- und Drohpotenzial gegen Einzelpersonen der Menschheitsgeschichte. Es kann die Machtverhältnisse zwischen dem Geheimdienst und den kontrollierenden Instanzen umdrehen und damit de facto einen „geheimen Staatsstreich“ ermöglichen, von dem die Bevölkerung nicht mal erfährt. Ob dieses Erpressungspotenzial bereits gegen Verantwortliche aus Regierungen oder Gesetzgeber eingesetzt wurde, oder ob wir hier den Bereich der Verschwörungstheorien betreten, wissen wir nicht. Schon die reine Möglichkeit zerstört das Vertrauen zwischen Volk und Parlamenten mehr, als jede Lobbykampagne das könnte.

Bei der ungeheuren Menge der gespeicherten Daten ist es zudem nur eine Frage der Zeit, bis nicht nur Whistleblower sondern auch Kriminelle Daten stehlen und sie für Identitätsdiebstahl, Betrug und Erpressung einsetzen. Auch wer nichts zu verbergen hat, hat etwas zu befürchten.

Nützt die Aktion etwas?

Eine ähnliche Aktion hat bereits 2012 einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, dass der „Stop Online Piracy Act“ SOPA zu Fall gebracht wurde. Die Wirkung ist umso größer, je eindrucksvoller der Protest ausfällt, also je mehr Menschen sich beteiligen. Und die Wirkung ist sicher größer, als wenn man gar nichts unternimmt. Leider hängt die Wirksamkeit der Aktion auch davon ab, wie weit die Aushöhlung unserer Demokratien durch die Geheimdienste bereits fortgeschritten ist.

Wer steckt dahinter?

Die Aktion wird von einer breiten Front von Organisationen und Unternehmen getragen, unter anderem die Electronic Frontier Foundation, Greenpeace, Mozilla und Thoughtworks. Ich kenne Personen aus diesen Organisationen persönlich und halte sie für integer.

Wenn Realität zur Insubordination wird

„Feste Zusagen von allerhöchster Ebene sind nicht eingehalten worden!“ polterte Verkehrsminister Peter Ramsauer diese Woche medienwirksam. Der Anlass: Siemens gab – immerhin drei Wochen vor dem geplanten Betriebsstart – bekannt, dass die neuen ICE 3 Züge nicht wie geplant ab 9.12. eingesetzt werden können. Grund sind Probleme mit der Software. Der Eindruck, den nicht nur Ramsauer mit seiner Äußerung erwecken wollte, ist klar: Siemens ist entweder unfähig oder nicht willens, seine Verträge einzuhalten. Also Vorsatz oder zumindest Fahrlässigkeit und immer gut für ein Stammtischzitat.

Vorweg: Ich besitze keine Informationen über das ICE Projekt, die nicht über die Presse verfügbar wären. Ich kenne einige Software-Ingenieure, die in diesem Bereich arbeiten und halte viel von ihrer technischen Kompetenz. Wer ihnen simple Unfähigkeit unterstellt, sagt damit mehr über seine eigene Fähigkeit aus, technische Kompetenz zu beurteilen. Aber das ist ja auch nicht Aufgabe eines Ministers. Warum schaffen es also fähige und gut ausgebildete Software-Spezialisten und andere Ingenieure nicht, so einen Zug rechtzeitig auf die Schiene zu bringen?

Das Problem scheint Methode zu haben, wenn man die letzten Jahre Revue passieren lässt: Berlin Schönefeld („Unfähig!“), Airbus 380 („Versagen!“), Hartz IV Software („Lächerlich!“), Toll Collect („Unfassbar!“), Ariane V Absturz („Peinlich!“), um nur mal ein paar pressewirksame Probleme aufzuzählen. Sind unsere Ingenieure und Manager wirklich alle Versager? Sind sie unfähig, solche System plangemäß zu bauen?

Ich denke, zumindest die zweite Frage muss klar mit „ja“ beantwortet werden. Das hat aber nichts mit der Ausbildung oder der Kompetenz der Ingenieure zu tun, sondern mit der Komplexität dieser Aufgaben. Die Chaostheorie hat in den letzten vierzig Jahren verstanden, dass es Systeme gibt, die sich nicht sinnvoll vorhersagen lassen, aber im Nachhinein erklären lassen. Diese Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass bereits kleinste Abweichungen enorme Auswirkungen haben können. So ist die Ariane V auf ihrem Jungfernflug letztlich explodiert, weil die Countdown-Sequenz beim Wechsel von der Ariane IV auf die V um wenige Sekunden nach vorne verschoben worden war. Dies hat einen bis dato unbekannten Fehler in der Software ausgelöst, die seit Jahren erfolgreich auf der Ariane IV lief.

Großprojekte sind solche komplexen Systeme. Ein kleiner Fehler in der Gepäckbeförderung kann einen Großflughafen wie Denver für eineinhalb Jahre stilllegen. Ein einziger Fehler in vielen hunderttausenden Zeilen der Software kann einen Zug zur Notbremsung zwingen. Und selbst in sehr sauber gearbeiteten Programmen verbergen sich statistisch ein bis zwei Fehler in tausend Zeilen. Solche Fehler treten oft erst in Erscheinung, wenn Ereignisse in ganz bestimmten Konstellationen und zeitlichen Zusammenhängen auftreten, was von außen oft wie Zufall aussieht. Sicherheitskritische Software, wie sie in Flugzeugen, ICEs oder Medizingeräten eingesetzt wird, treibt einen hohen Aufwand, damit solche Fehler zumindest keine Menschenleben gefährden. Fehler dieser Art zu finden, ist extrem aufwändig und es ist unklar, wie lange die Suche dauert. Sie können durch gutes Handwerk reduziert werden, völlig vermeiden lassen sie sich nicht.

Das vermeidbare Problem liegt aber genau in der Einstellung, die auch Herr Ramsauer demonstriert: Wenn es für das Verletzen von Zeitplänen nur die beiden Erklärung „Unfähigkeit“ und „Insubordination“ gibt, werden Verzögerungen verdeckt und viel zu spät eskaliert. Je später aber Probleme eskaliert werden, umso weniger Optionen hat man, um zu reagieren und umso größer sind die Schäden. Wer von Anfang an mit Problemen rechnet, kann bewusst verschiedene Optionen offen halten. Das sieht aber erst einmal teurer aus, als der unproblematische Pfad. Und es setzt das Eingeständnis voraus, dass so große Projekte eben nicht vollständig durchplanbar sind, sondern eine Expedition in ein unbekanntes Land darstellen. Die Kosten für die Verschiebung um ein oder zwei Jahre, tauchen im initialen Angebot ja nicht auf.

Wir sollten uns daran gewöhnen, dass Großprojekte nicht glatt durchlaufen. Die Realität zur Kenntnis zu nehmen ist weder Unfähigkeit, noch Insubordination, sondern die Voraussetzung, besser zu werden.

Internet-Zensur: Noch immer bedenklich

134014 Petitenten so völlig zu ignorieren scheinen sich selbst die Hardliner doch nicht getraut zu haben: Das heute im Bundestag zum Entschluss vorgelegte „Zugangserschwerungsgesetz“ berücksichtigt doch ein paar der Kritikpunkte:

  • Wer auf ein Stoppschild läuft wird nicht mehr direkt erfasst und dem BKA gemeldet
  • Ein Wächtergremium angesiedelt beim Bundesdatenschutzbeauftragten soll die Sperrlisten kontrollieren
  • Die Sperren wurden in ein eigenes Gesetz gegossen und nicht in das Telemediengesetz integriert, wo sie problemlos auf jedes beliebige Thema hätten ausdehnt werden können (z.B. illegale Downloads, Nazipropaganda, Kritik an Internetzensur, Kritik an der Regierungspartei usw.).

Also alles in Butter? Auch wenn die jetzige Regelung zugegebenermaßen schon erträglicher ist, als die ersten Vorschläge, die eher an polizeistaatliche Regeln erinnerten, als an rechtsstaatliche, denke ich, dass auch die jetzige Regelung noch inakzeptabel ist:

  • Dass die Stoppschildbesucher nicht mehr sofort an das BKA gemeldet werden ist angesichts der Vorratsdatenspeicherung nur von begrenztem Trost: Technisch liegen die Daten vor und lassen sich durchaus entsprechend auswerten. Zwar hat Karlsruhe der Auswertung durch seine einstweilige Verfügung erstmal einen Riegel vorgeschoben, aber das ändert nichts daran, dass die Daten da sind und aufgehoben werden (müsen). Und dass existierende Daten nur deshalb sicher wären, weil Karlsruhe deren Auswertung als unfreundlichen Akt sieht, haben Telekon und Bahn zur Genüge ad absurdum geführt. Hier ist also nach wie vor Erpressung Tür und Tor geöffnet, bis Karlruhe dem Unfug der Vorratsdatenspeicherung hoffentlich ein Ende bereitet.
  • Für die Genehmigung von Grundrechtseingriffen wie der Presse- und Informationsfreiheit sind in einem Rechtsstaat Richter zuständig mit einem klar definierten Instanzenweg, damit Betroffene sich wehren können. Zwar dürfte der Bundesdatenschutzbeauftragte unabhängiger sein, als zum Beispiel ein Innenminister (und das ist diesmal gar nicht mal persönlich gemeint), dennoch hat das nichts mit Gewaltenteilung zu tun. Eine richterlich angeordnete Sperre im Rahmen eines international laufenden Strafverfahrens inklusive Einzelfallprüfung wäre das mindeste gewesen, um die Regelung sauber zu machen.
  • Die Süddeutsche Zeitung zitiert Klaus Jansen vom Bund Deutscher Kriminalbeamten mit den Hinweis: „Das BKA muss selbst Kriterien festlegen, was als kinderpornographisch einzustufen ist.“ Macht die Polizei bei uns neuerdings die Gesetze? Eigentlich wäre das Parlament dafür zuständig, in letzter Zeit müssen die Gerichte immer häufiger die Lücken füllen, die dabei gelassen werden. Jetzt auch noch das BKA im Rahmen geheimer Kriterienkataloge? Den geeigneten Kommentar findet man mal wieder in der finsteren McCarthy-Ära in den USA der 50er Jahre: „Ich kann zwar Pornografie nicht definieren, aber ich erkenne sie, wenn ich sie sehe“ beschied damals ein Richter einen Angeklagten. Eines Rechtsstaats ist das unwürdig.
  • Die SZ liefert auch gleich die Geschichte nach, dass einmal die Schweizer Hochschulen nicht erreichbar waren, weil zuvor unter der gleichen IP-Adresse Neonazis ihren Schund verbreitet hatten. Soviel zum Thema „wer nichts verbrochen hat, hat auch nichts zu befürchten“
  • Und schließlich bliebt noch immer das Grundproblem, dass die Sperren nichts helfen werden. DNS-Sperren zu umgehen ist eine Fingerübung für 13-jährige (im Iran sieht man gerade, wie wichtig das ist!) und wenn man den einschlägigen Berichten glauben darf, wird der Großteil der Kinderpornografie ohnehin in Chats und Newsrooms gehandelt, die von DNS-Sperren nicht erfasst werden können. Die Vorstellung, dass irgendein Produzent solcher Bilder darauf in Zukunft verzichtet (was wirklicher Schutz wäre), nur weil da in Deutschland ein Stoppschildchen auftauchen könnte, ist ohnehin dermaßen naiv, dass man es schon fast als vorsätzliche Desinformation bezeichnen könnte.

Also: Ein fragwürdiger Eingriff in die Grundrechte auf rechtsstaatlich noch fragwürdigerer Grundlage, der nichts hilft. Man kann nur hoffen, dass mal wieder Karlsruhe dem Unsinn ein Ende bereitet.

Bis dahin bleibt uns, sich das heutige Abstimmungsverhalten der einzelnen Abgeordneten bis zum September zu merken. Herr Wiefelspütz hat auch schon zurück rudern müssen und feststellen müssen „Ich bin strikt gegen Zensur“. Wir sollten Politiker wählen, die solche Klarstellungen nicht nötig haben.

Es geht um Zensur, nicht um Kinderschutz

Wer noch immer meint, die CDU/CSU wolle mit der Internetzensur Kinder schützen, lese einmal die aktuelle Pressemitteilung des kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Börnsen MdB. Dort heißt es unter anderem: „Die SPD wäre dadurch Gefahr gelaufen, Straftaten im Internet Vorschub zu leisten, von der Vergewaltigung und Erniedrigung kleiner Kinder bis hin zu Urheberrechtsverletzungen in breitestem Ausmaß gegenüber Künstlern und Kreativen“ (Hervorhebung durch mich). Im Klartext: Wir fangen mal mit dem an, wo keiner widersprechen mag, um sich nicht in den Geruch eines Kinderschänders zu bringen. Wenn wir dann die Infrastruktur durchgesetzt haben, kommen wirtschaftliche Interessen dran – wohlgemerkt nach wie vor mit geheimen Listen! So weit sind die Chinesen auch schon mit der Argumentation. Dann kommen vielleicht die Nazis dran, da dürfte auch keiner Lust haben, sich für die einzusetzen. Und irgendwann sind wir bei einer Zensur, gegen die sich Bismarck’sche Zeiten wie der Hort der Meinungsfreiheit angefühlt haben dürften.

Bei Straftaten im Internet muss man die Straftäter verfolgen und nicht anschließend die Spuren wegretuschieren. Aber es ist ja Wahlkampf, was zählt da schon das bisschen Grundrecht, an dem eh nur die „die Linksaußen in der SPD“ interessiert sind, um noch einmal Herrn Börnsen zu zitieren. Einfache Gleichung: Links = Verbrecherschützer = Kinderschänder. Ich wünschte, meine Welt wäre auch so einfach…

Bürokratie ist wichtiger als unzensiertes Internet

Zu diesem Schluss kann man kommen, wenn man über eine Studie der Universität Camebridge liest. Nach dieser Studie dauert die Löschung einer illegalen Phishing-Webseite, die Banken schädigt, ab deren Bekanntwerden im Schnitt vier Stunden. Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten bleiben dagegen im Schnitt 30 Tage im Netz.

Warum? Im ersten Fall meldet sich die betroffene Bank direkt bei dem Provider — auch im Ausland — der dann normalerweise die Seite sofort vom Netz nimmt, seinerseits Strafanzeige bei der örtlichen Polizei erstattet und Spuren sichert. Möglich ist das wie gesagt innerhalb von durchschnittlich 4 (in Worten: vier) Stunden.

Was passiert, wenn ein deutscher Polizeibeamter auf eine Seite mit kinderpornografischem Inhalt stößt? Das BKA “informiert die jeweiligen Polizeibehörden über die dafür vorgesehenen internationalen Organisationen. Dieser Weg nimmt einige Zeit in Anspruch. Da die fraglichen Seiten oft nur einige Tage ihre Domain behalten, ist die Seite schon weitergewandert.” erklärt die CDU-Abgeordnete Martina laut netzpolitik.org. Grund sei die “Achtung vor der Souveränität der Staaten”.

Also noch mal zum Mitdenken: Der Dienstweg unter den Polizeibehörden führt dazu, dass Täter, die Kinderpornos ins Netz stellen, nicht gefasst werden. Wäre es da nicht sinnvoll, wenn sich unsere Staatslenker ausnahmsweise mal über den Dienstweg Gedanken machen würden, statt in unsere Grundrechte einzugreifen? Anstatt mit geheimen Listen (wie lange dauert der Dienstweg eingentlich?) mit dem Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit und dem Fernmeldegeheimnis umzugehen, wie es sonst nur chinesische „Volksdemokraten“ zu tun pflegen, sollte man vielleicht unter den Polizeibehörden vereinbaren, dass man einfach bei dem Provider anruft und dann ein Fax oder (falls Internetanschluss schon vorhanden) eine Email an die lokal zuständige Polizei schickt. Souveräne Staaten können so etwas untereinander vereinbaren, Frau von der Leyen, Herr Dr. Freiherr zu Guttenberg, Frau Prof. Merkel!

Es drängt sich einmal mehr die Frage auf, was unsere CDU/CSU-Minister bezwecken, wenn sie versuchen, nutzlose geheime Internetsperren zu etablieren, Bürger, die sich dagegen wehren in die Nähe von Kinderpornografen rücken oder als geheime Polizei in Privatcomputer einzudringen. Der Schutz der Kinder scheint dabei keine Rolle zu spielen, den könnte man einfacher, billiger und vor allem wirksam haben. Wenn es um Geld geht, machen es die Banken ja vor, wie schnell man reagieren kann.

Internetzensur: Trauriger Stand der Dinge

Microsoft hat mit „Bing“ eine neue Suchmaschine an den Start gebracht, die vor allem eines eindrucksvoll demonstriert: Auf welchem Weg wir uns derzeit bei der Internetzensur befinden! Machen Sie sich den derzeit auf Twitter kursierenden Spaß, gehen Sie auf http://www.bing.com und geben Sie das Suchwort „Strumpfhose“ ein. Wer jetzt die aufregenden Katalogseiten des Ottoversands erwartet, auf denen Babystrumpfhosen angeboten werden, dürfte vom Suchergebnis überrascht sein, denn die Suchmaschine meldet kurz und knackig: „Der Suchbegriff ‚Strumpfhose‘ führt möglicherweise zu sexuell eindeutigen Inhalten. Ändern Sie Ihre Suchbegriffe, um Ergebnisse zu erhalten.“

Ein nach moralischer Festigung durchgeführter Selbstversuch bei Google ergibt Avon als ersten Treffer, sowie einen YouTube-Film von frauTV, der sich mit dem „Leid der zwickenden Strumpfhose beschäftigt“. Nun, bevor mein Blog mit solchen Themen zum Erotikzentrum verkommt, fällt mir dazu eine Geschichte aus den USA der 50er-Jahre ein: In der düstersten Jahren der McCarthy-Ära öffnete das FBI die Post von Gynäkologen, um auf diese Weise zu verhindern, dass diese Empfehlungen zur Empfängnisverhütung an ihre Patientinnen schicken konnten. Meines Wissens stand nicht einmal damals die Erwähnung von Strumpfhosen auf dem Index!

Wer also meint, die vom Familienministerium geplanten geheimen Zensurlisten für das Internet beschränkten sich ausschließlich auf illegale Inhalte, kann sich bei Bing ein erstes Bild davon machen, wie so etwas in der Praxis aussieht. Aber wie immer gilt: „Wer nichts zu verbergen hat (und keine Strumpfhosen online kaufen möchte), hat auch nichts zu befürchten.“ Ich berichte über weitere, notwendige Ergänzungen dieses Satzes, bis auch dieser Blog wegen „sexuell eindeutiger Inhalte“ gesperrt wird — und wenn es nur deshalb ist, weil seine Inhalte sexuell eindeutig irrelevant sind.

PS: Aus der 80er-Jahre CD „Muh“ von Haindling stammt die schöne Textzeile „Nur die allerdümmsten Kälber wählen eana Metzger selber“. Ich weiß auch nicht, warum mir das gerade einfällt…

Petition gegen geheime Internetzensur

Kontrolle und Transparenz sind zwei Grundpfeiler der Demokratie. Das gilt vor allem dann, wenn elementare Grundrechte der Bürger gefährdet sind, wie zum Beispiel beim Gewaltmonopol des Staates. Die Polizei wird von der Staatsanwaltschaft kontrolliert, die Staatsanwaltschaft von den Gerichten, die wiederum aus gutem Grund öffentlich verhandeln müssen. Wenn ich meine, eine staatliche Maßnahme beschränke meine Grundrechte, steht es mir frei dagegen zu klagen. Das ist ungefähr das, was einem in der zehnten Klasse in Sozialkunde erklärt wird. Leider scheinen einige unserer Politiker in diesen Stunden gefehlt zu haben und auch keine Chance gehabt zu haben, das bei den intensiven parteiinternen Rangkämpfen nachzuholen. „Man kann ja nicht immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen“, wie der Ex-CSU-Fraktionsvorsitzende einmal seine Wertschätzung für die Grundlagen unserer Gemeinschaft zusammen fasste.

Worum geht’s: Einige Beamte des LKA sollen in Zukunft geheime Listen (von was eigentlich: Domänen? URLS?) aufstellen, die an Internetprovider weiter geleitet werden. Diese nehmen die entsprechenden was auch immer aus ihren DNS-Servern. Statt dessen wird man auf ein Stop-Schild geleitet. Ist Ihre Domäne dabei? Woher sollten Sie das wissen? Sie werden ja nicht informiert! Und wen stört es schon, dass Ihre Schwester gerade mit dem zuständigen Beamten des LKA Schluss gemacht hat? Er wird ja ohnehin nicht kontrolliert!

Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, wird auch noch diskutiert, jeden direkt an die Polizei zu melden, der auf so ein Stoppschild kommt! Ein Tippfehler in der URL und morgens um 3 kommt der Sondereinsatztrupp der Polizei, beschlagnahmt sämtliche Rechner mitsamt CDs und Festplatten. Wenn Sie prominent genug sind, haben Sie Glück: Dann kommt der Trupp erst um 6 Uhr morgens, da kann das Fernsehen bessere Bilder machen. Die Rechner werden dann vom LKA gefilzt. Die gute Nachricht ist, dass Sie ja nichts zu befürchten haben! Wenn nichts gefunden wird, bekommen Sie die Geräte ja zurück — nach sechs oder zwölf Monaten und das auch nur, wenn die in der Zwischenzeit nicht irgendwo „verloren“ gegangen sind. Dass in der Zwischenzeit ein Verfahren wegen Kinderpornographie gegen Sie läuft: Was soll’s, es gilt ja die Unschuldsvermutung. Sie haben Ihr Kind im Planschbecken fotografiert? Keine Panik, der Richter wird Sie schon freisprechen! Dass Ihre Ehe dabei drauf geht und Ihnen das Sorgerecht für Ihre Kinder entzogen wird: Lässt sich doch alles wieder kitten, seien Sie doch nicht so kleinlich!

Das mag jetzt ein wenig übertrieben sein, aber es sind keinerlei Mechanismen vorgesehen, die ein solches Szenario verhindern würden – und bis auf die automatische Meldung sind alle diese Dinge schon vorgekommen. Und hilft das Ganze wenigstens? Eine DNS-Sperre zu umgehen gehört nun wirklich zu den Anfängerübungen: Man kann auf ausländische DNS-Server zugreifen, die IP-Adresse direkt eingeben oder Tor benutzen. Ich habe keinen Zweifel, dass die Mittel dagegen in einschlägigen Kreisen längst die Runde gemacht haben. Effektiver wäre es freilich, an die Produzenten heranzugehen. Aber das fordert ja echte kriminalistische Arbeit im internationalen Umfeld. Man müsste zum Beispiel wissen, was whois-Datenbanken sind und die entsprechenden Provider per Rechtshilfeersuchen angehen. Das würde zwar die Kinder wirklich schützen, würde aber Geld kosten und nicht so schöne Schlagzeilen wie „12000 Verfahren eröffnet“ ermöglichen. Für die kleinlaute Schlagzeile „Alle Verfahren ohne Anklage eingestellt“ musste man sich dann schon zu Heise.de bequemen.

Wer keine Lust hat, dass mit dem trojanischen Pferd des (Schein-)Kampfes gegen Kinderpornographie ein geheimer und nicht-kontrollierbarer Mechanismus der Internetzensur etabliert wird, kann dem jetzt bei Bundestag Ausdruck verleihen: http://zeichnemit.de/ führt zu einer Petition, die Stand heute bereits über 70.000 Personen unterzeichnet haben. Spätestens wenn die Anzahl der Unterzeichner Wählertechnisch interessant werden, könnte sich so mancher Abgeordneter überlegen, ob er oder sie mal wieder warten will, bis Karlsruhe das Gesetz wieder kippt.

Traurigerweise muss man den Zusatz auch noch bringen: Es geht nicht im mindesten darum, Kinderpornographie zu verteidigen! Es geht darum, die Kinder wirklich zu schützen — vor sexueller Ausbeutung und vor einem Staat, der die Grundlagen der Demokratie vergessen hat. Ich möchte, dass mein Sohn in Freiheit aufwächst, weil das noch immer der beste Garant für körperliche und geistige Unversehrtheit ist.

Nachruf auf eine Staatspartei

Nun ist er also da, der bayerische Weltuntergang, der nach Darstellung der wahlkämpfenden CSU-Mitglieder unmittelbar auf den Verlust der absoluten Mehrheit im bayerischen Landtag folgen würde. Wie wenig die CSU verstanden hat, was ihr da passiert ist, lässt sich wunderbar aus den Stellungnahmen der verschiedenen mehr oder weniger Spitzenpolitikern ablesen. Da überwog die „Analyse“ man habe die gute Regierungsarbeit nicht an die Wähler vermitteln können – ein üblicher Euphemismus dafür, dass die Wähler eigentlich zu dumm dafür sind, das segensreiche Wirken der Staatspartei zu bewerten. Und der Vizechef der „Christlich Sozialen Arbeitnehmer“, Konrad Kobler, versteigt sich laut Süddeutscher Zeitung sogar zu der Feststellung „Die CDU-Chefin [Angela Merkel] habe die Landtagswahl mit ihrem Nein zu einer Rückkehr zur alten Pendlerpauschle ‚vermasselt'“. So einfach ist das: Wenn die CSU nur ein paar Milliarden Steuergelder mehr hätte verschenken dürfen, hätte die Wähler schon wieder fleißig gewählt, wie „man“ das halt von „anständigen Bayern“ erwartet, nämlich CSU.

Man scheint noch nicht auf die Idee gekommen zu sein, dass die Wähler die Nase schlichtweg davon voll hatten, für dämliches Stimmvieh gehalten zu werden, dass man die Zukunft der Kinder nicht weiter einem erstarrten bürokratischen Schulsystem opfern wollte und dass der an Missachtung des Parlaments grenzende Umgang mit der Opposition nur noch von Arroganz und Abgehobenheit zeugte. Wie wichtig der CSU der einzelne Wähler war, konnte ich selbst feststellen: Auf meine Anfrage an den örtlichen CSU Kandidaten Markus Blume, wie er denn als Landtagsabgeordneter seinen Einfluss auf Bundeszuständigkeiten auszuüben gedenke, um sein „Steuerkonzept“ umzusetzen („Volle Pendlerpauschale, mehr Kindergeld, niedrigere Steuern — Dafür setze ich mich ein.“), welche landespolitischen Position er denn vertrete und auf welche Art die unter dem Slogan „Mehr Netto für Alle“ angekündigten Steuergeschenke denn gegenfinanziert werden sollten, warte ich noch heute auf Antwort…

Man darf aber das Ergebnis auch nicht überinterpretieren: Vom Zusammenbruch des CSU-Nimbus haben fast ausschließlich Freie Wähler und FDP profitiert, die Stimmen sind also innerhalb des sog. „bürgerlichen Lagers“ geblieben. Bayern ist und bleibt strukturkonservativ. Eine von den Grünen in die Diskussion geworfene Viererkoalition aus Parteien und Gruppen, die durch kaum mehr zusammen zusammen gehalten wird, als dem Wunsch nach dem Ende der CSU Alleinherrschaft, hätte kaum eine Chance eine Legislaturperiode zu überleben. Und man sollte auch nicht aus den Augen verlieren, dass die Landtagsmehrheit nur eine von mehreren Stützen der CSU Herrschaft in Bayern war, wenn auch eine meistens recht bequeme. Die Durchwirkung von Verwaltung und Wirtschaft wird die CSU über viele Jahre hinaus noch zur führenden politischen Kraft in Bayern machen. Und auch die an die Grenze seriösen Journalismus‘ reichende Willfährigkeit des Bayerischen Fernsehens, die in der gestrigen Wahlberichterstattung einmal wieder zur Schau gestellt wurde, wird uns noch lange erhalten bleiben. Aber die Demokratisierung Bayerns und hoffentlich auch die der CSU hat ja gerade erst begonnen.

Übrigens lässt sich der Weltuntergang zumindest in München ganz gut an: Strahlender Sonnenschein lässt an der bisher nie hinterfragten Höchsten Unterstützung für die Staatspartei zweifeln. Kann es sein, dass der Weltuntergang nur für jene stattfindet, deren Horizont nur bis zu den Grenzen ihrer Partei geht?