Brief an Thomas de Maziere zum „Day we fight back“

Hier noch die E-Mail, die ich heute morgen an unseren Innenminister geschrieben habe als Beitrag zum „Day we fight back“. Wer daraus eigene Anregungen für Mails an Politiker ziehen möchte, darf gerne Ausschnitte ohne Zitat verwenden. Die E-Mail Adressen sind auf der Web-Seite des Bundestages veröffentlicht, das stellt sicher, dass die E-Mail zumindest im persönlichen Sekretariat landet und nicht schon im Posteingang eines Ministeriums abgeblockt wird.

Sehr geehrter Herr Minister,

die bisher größtenteils bestätigten Medienberichte über die Tätigkeiten der NSA und befreundeter Geheimdienste zeigen, dass hier Verbindungsdaten und wohl teilweise auch Inhalte über praktisch alle Nutzer des Internets und von Mobiltelefonen gesammelt werden sollen und in großem Umfang bereits gesammelt werden. Eine solche Datensammlung stellt das größte Erpressungspotenzial dar, das in der Menschheitsgeschichte jemals aufgebaut wurde. Alleine seine Existenz untergräbt das Vertrauen in den Staat und die freie Meinungsäußerung und bringt die Geheimdienste in eine unkontrollierbare Machtposition. Dies gilt umso mehr, als dass es de facto keine wirksame rechtsstaatliche Kontrolle dieser Aktivitäten gibt. Zudem ist es ein Angriff auf die Souveränität anderer Staaten und deren Verfassungen. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht die wesentlich „harmlosere“ Vorratsdatenspeicherung in der damaligen Form für verfassungswidrig erklärt.

Ich bitte Sie daher:
Setzen Sie sich für die vorbehaltlose Aufklärung der Aktivitäten von NSA, GCHQ und anderen Geheimdiensten auf deutschem Boden oder gegen deutsche Staatsbürger ein
Unterstützen Sie die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages mit einem machtvollen Untersuchungsauftrag
Fördern Sie die Einleitung und Durchführung eines Ermittlungsverfahrens durch den Generalbundesanwalt – nicht nur wegen der Angriffe auf Mitglieder der Bundesregierung, sondern auch wegen vielfacher Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses
Wirken Sie auf Ihre amerikanischen und britischen Amtskollegen ein, ihre Geheimdienste wieder auf rechtsstaatlichen Boden zurück zu holen und die Souveränität anderer Staaten zu respektieren
Unterbinden Sie eventuelle Aktivitäten der deutschen Geheimdienste, die zu der Massenüberwachung beitragen und ziehen Sie diejenigen zur Verantwortung, die dabei gegen geltendes Recht verstoßen haben
Setzen Sie sich dafür ein, dass der Whistleblower Edward Snowden und die an der Enthüllung beteiligten Journalisten weder geheimdienstlich noch juristisch verfolgt werden. Gewähren Sie ihnen Schutz als politisch Verfolgte, bis das erreicht ist
Fördern Sie den Schutz unserer Bürger und unserer Verfassung vor illegaler Massenüberwachung im Bundeskabinett

Die Aktivitäten von NSA und befreundeten Geheimdiensten gefährden unsere Demokratie mehr, als extremistische Splittergruppen dies jemals vermocht hätten. In den nächsten vier Jahren entscheidet sich, ob die westlichen Demokratien und mit ihnen Deutschland dieser Bedrohung Herr werden oder entfesselte Geheimdienste die Errungenschaften der letzten 59 Jahre im Namen eines totalitären „Sicherheits“denkens zunichte machen. Sie können diese Entwicklung wesentlich beeinflussen.

Ich danke Ihnen.

Mit freundlichen Grüßen

Jens Coldewey

Die Antwort kam schnell am nächsten morgen um 9:15:

Az: O3-12007/1#1 – Coldewey, Jens

Sehr geehrter Herr Coldewey,

ich bestätige den Eingang Ihres Schreibens vom 11. Februar 2014.

Zu Ihrem Schreiben nehme ich wie folgt Stellung:

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.

Das Bundesinnenministerium baut die Kapazitäten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und auch des Cyber-Abwehrzentrums aus. Das Bundesinnenministerium verbessert darüber hinaus die IT-Ausstattung der deutschen Sicherheitsbehörden.
Um Bürgerdaten besser zu schützen und zu sichern, wird die Bündelung der IT-Netze des Bundes in einer einheitlichen Plattform „Netze des Bundes“ angestrebt. IT- und TK-Sicherheit sollen zusammengeführt werden.

Die Bundesregierung drängt auf weitere Aufklärung, wie und in welchem Umfang ausländische Nachrichtendienste die Bürgerinnen und Bürger und die deutsche Regierung ausspähen. Um Vertrauen wieder herzustellen, wird die Bundesregierung ein rechtlich verbindliches Abkommen zum Schutz vor Spionage verhandeln. Damit sollen die Bürgerinnen und Bürger, die Regierung und die Wirtschaft vor schrankenloser Ausspähung geschützt werden. Ferner muss die Spionageabwehr gestärkt werden und unsere Kommunikation und Kommunikationsinfrastruktur sicherer werden. Dafür verpflichtet die Bundesregierung die europäischen Telekommunikationsanbieter, ihre Kommunikationsverbindungen mindestens in der EU zu verschlüsseln und sicherzustellen, dass europäische Telekommunikationsanbieter ihre Daten nicht an ausländische Nachrichtendienste weiterleiten dürfen.
Ferner soll europaweit einer Meldepflicht für Unternehmen eingeführt werden, die Daten ihrer Kundinnen und Kunden ohne deren Einwilligung an Behörden in Drittstaaten übermitteln. Ferner ist es auch Ziel der Bundesregierung, dass in der EU Nachverhandlungen der Safe-Harbor und Swift-Abkommen durchgeführt werden.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Bundesministerium des Innern
– Bürgerservice –

Es bleibt die Hoffnung, dass der Brief wenigstens in irgendeiner Statistik auftaucht

11. Februar: The Day we Fight Back“ gegen NSA Massenüberwachung

tl;dr (Für Eilige)

Die Massenüberwachung des Internets zerstört unsere Demokratie und liefert uns Kriminellen und Geheimdiensten aus. Beteiligen Sie sich am Day we Fight Back, um ein Zeichen dagegen zu setzen.

Worum geht’s?
Am 11. Februar veranstaltet ein breit aufgestelltes Aktionsbündnis den „Day we fight back„, eine internationale Protestaktion möglichst aller Internetnutzer gegen die Massenüberwachung von NSA, GCHQ und anderen Geheimdiensten. Es soll die bisher größte Massenprotestaktion im Internet werden.

Was ist geplant?
Möglichst viele Bürger sollen sich am 11. Februar in E-Mails und Telefonanrufen an ihre gesetzgebenden Organe wenden und Einspruch einlegen gegen die Massenüberwachung. In den USA sind das die Kongressabgeordneten. In Deutschland könnten wir Regierungsmitglieder wie den Außenminister, den Innenminister, den Justizminister oder die Bundeskanzlerin bitten, sich für die Sicherung unserer Grundrechte einzusetzen und diplomatische Schritte einzuleiten. Den Generalbundesanwalt könnten wir bitten, die anhängigen Strafanzeigen zügig zu bearbeiten. Den Bundestagsabgeordneten Ihres Wahlkreises könnten Sie bitten, einen entsprechenden Untersuchungsausschuss zu unterstützen. Und natürlich dürfen sich auch deutsche Staatsbürger mit Bitten an US Gesetzgeber oder den Präsidenten wenden. Weitere Details zu der Aktion findet man unter https://www.thedaywefightback.org oder in deutscher Sprache bei iRights.

Damit ausreichend Menschen davon erfahren, können wir Informationen über die Aktion in Blogs und sozialen Netzwerken austauschen und es steht auch ein Overlay für Profilbilder zur Verfügung.

Warum sollte ich mich beteiligen?

Nur ein paar wenige der Fakten, die in den letzten sechs Monaten herausgekommen sind (siehe auch z.B. Süddeutsche.de):

  • Das Ziel von NSA, GCHQ und den anderen beteiligten Geheimdiensten ist die vollständige Überwachung von Internet und Mobiltelefonie
  • Aufgrund der aktuellen Rechtslage kann die NSA jede amerikanische Internetfirma zwingen, ihr Zugang auf die Daten eines Kunden zu gewähren. Das heißt konkret, dass die NSA zum Beispiel Zugriff auf alle Suchanfragen dieser Person bei Google erzwingen kann und damit von praktisch jedem Internetnutzer ein weitgehend vollständiges Persönlichkeitsprofil erstellen kann. Dieser Zugriff erfolgt auf Anordnung eines Geheim“gerichts“, das keine Verteidiger kennt und dessen Urteile geheim sind. Die Betroffen dürfen also nicht einmal erfahren, dass sie so umfassend ausgespäht wurden. Das ist Pseudogerichtsbarkeit, die rechtsstaatliche Prinzipien vollständig aushebelt. Im ersten Halbjahr 2013 wurden alleine bei den großen Internetkonzernen mindestens 59000 Nutzerkonten auf diese Weise ausgeforscht.
  • Die NSA nutzt diese Daten zur Wirtschaftsspionage. So ist unter anderem der brasilianische Ölkonzern Petrobas Opfer eines breit angelegten Angriffs geworden
  • Die NSA hat die Mobiltelefone der Staatschefs von 35 Ländern abgehört, darunter Angela Merkel und Gerhard Schröder
  • Der GCHQ ist mit technischer Hilfe der NSA in die Infrastruktur des belgischen teilstaatlichen Telekomproviders Belgacom eingedrungen, um Zugriff auf Mobiltelefone in Belgien zu bekommen und damit das belgische Fernmeldegeheimnis zu unterminieren
  • Die NSA investierte 2013 25,1 Mio $ in den Schwarz- und Graumarkt für Sicherheitslücken in Betriebssystemen. Auf diesem Markt werden Informationen über potenzielle Angriffswege an Kriminelle und Geheimdienste verkauft, statt sie zur Behebung an die Hersteller zu melden. Damit ist die NSA der mit Abstand zahlungskräftigste Mitspieler in diesem Markt, der uns Alle Angriffen von Kriminellen und Geheimdiensten aussetzt.
  • Die NSA erfasst „vermutlich“ die Verbindungsdaten der Telefone von Kongressabgeordneten und ihren Mitarbeitern, späht mithin die demokratisch gewählte amerikanische Legislative aus.

Diese und viele weitere nachgewiesenen und von der NSA nicht dementierten und zum Teil sogar bestätigten Fakten lassen Vermutungen über das Können der NSA zu, insbesondere da erst ein Teil der Unterlagen von Edward Snowden ausgewertet und veröffentlicht wurden.

Eine gar nicht so unrealistische Überlegung: Die NSA dürfte in der Lage sein, binnen weniger Tage über jeden beliebigen Internetnutzer und/oder Mobiltelefonnutzer weltweit ein umfassendes Dossier anzulegen – wenn sie das nicht ohnehin tut. Das bedeutet das wohl umfassendeste Erpressungs- und Drohpotenzial gegen Einzelpersonen der Menschheitsgeschichte. Es kann die Machtverhältnisse zwischen dem Geheimdienst und den kontrollierenden Instanzen umdrehen und damit de facto einen „geheimen Staatsstreich“ ermöglichen, von dem die Bevölkerung nicht mal erfährt. Ob dieses Erpressungspotenzial bereits gegen Verantwortliche aus Regierungen oder Gesetzgeber eingesetzt wurde, oder ob wir hier den Bereich der Verschwörungstheorien betreten, wissen wir nicht. Schon die reine Möglichkeit zerstört das Vertrauen zwischen Volk und Parlamenten mehr, als jede Lobbykampagne das könnte.

Bei der ungeheuren Menge der gespeicherten Daten ist es zudem nur eine Frage der Zeit, bis nicht nur Whistleblower sondern auch Kriminelle Daten stehlen und sie für Identitätsdiebstahl, Betrug und Erpressung einsetzen. Auch wer nichts zu verbergen hat, hat etwas zu befürchten.

Nützt die Aktion etwas?

Eine ähnliche Aktion hat bereits 2012 einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, dass der „Stop Online Piracy Act“ SOPA zu Fall gebracht wurde. Die Wirkung ist umso größer, je eindrucksvoller der Protest ausfällt, also je mehr Menschen sich beteiligen. Und die Wirkung ist sicher größer, als wenn man gar nichts unternimmt. Leider hängt die Wirksamkeit der Aktion auch davon ab, wie weit die Aushöhlung unserer Demokratien durch die Geheimdienste bereits fortgeschritten ist.

Wer steckt dahinter?

Die Aktion wird von einer breiten Front von Organisationen und Unternehmen getragen, unter anderem die Electronic Frontier Foundation, Greenpeace, Mozilla und Thoughtworks. Ich kenne Personen aus diesen Organisationen persönlich und halte sie für integer.