Im Zug von Karlsruhe nach München scheint mir eine gute Gelegenheit, meine Eindrücke von den gerade beendeten XPDays 2007 in Karlsruhe aufzuschreiben. Ich bin da sicher nicht neutral – schließlich war ich im Programm Komitee nicht völlig unbeteiligt an der Struktur der Konferenz. Dennoch freue ich mich über das gute Gelingen, an dem neben dem diesjährigen Ausrichter andrena sicher auch Johannes Link die „Hauptschuld“ trägt. Bei der Qualität des Programms und sympatischen Durchführung ist es kein Wunder, dass sich die XPDays im vierten Jahr zu der agilen Konforenz in Deutschland gemausert haben. Zu Recht.
Die wichtigste Nachricht, die ich mit nach Hause nehme, ist die gestiegene Bedeutung der testgetriebenen Entwicklung (TDD). Es war wohl das wichtigste Thema mit einer – manchmal etwas zähen – dreistündigen Einführung (Randori and Fishbowl für die, die etwas damit anfangen können) von Dave Nicolette und Rod Coffin, immerhin zwei Vorträgen in den „Agile Lightning Talks“ von Stefan Roock (zumindest an dem zweiten war ich nicht ganz unschuldig 🙂 ) und zwei Vorträgen in der Hauptkonferenz. Vor allem aber war es das Hauptthema bei den Unterhaltungen am Abend (soweit sie Fachthemen betrafen) und auf den Gängen. Ich halte das für eine sehr gute Entwicklung, birgt doch testgetriebenes Arbeiten meiner Erfahrung nach ein sehr großes Potenzial, die Entwicklung schneller und sicherer zu machen.
Erstaunt hat mich, dass viele Teilnehmer (insgesamt waren 150 Personen nach Karlsruhe gekommen) TDD eher skeptisch hinterfragt haben. Ich hätte damit gerechnet, dass testgetriebene Entwicklung in agilen Kreisen schon wesentlich mehr verbreitet ist. Mein Eindruck war, dass die Konferenz viele Skeptiker dazu gebracht hat, sich näher mit dem Thema zu beschäftigen und viele von ihnen nächstes Jahr mit Erfahrungsberichten zurück kommen – es lohnt sich
(<Marketing> Ein wenig Marketing sei mir hier erlaubt: Johannes Link hat eine hervorragende Einführung in testgetriebene Entwicklung verfasst, die ich um einen umfangreichen Refactoringteil erweitern durfte. Melden Sie sich bei mir, wenn das für Sie interessant ist</Marketing>).
Natürlich muss hier auch Rob Austins Keynote „Innvovation Practices“ erwähnt werden: Rob Austin ist Professor für Betriebswirtschaft an der Harvard Business School, also einer der weltweit renommiertesten Universitäten. Er hat systematisch Berufe untersucht, die von Innovationen leben: Künstler, Schauspieler, Industriedesigner. Bei ihnen allen hat er gemeinsame Muster festgestellt, die ich aus dem Gedächtnis heraus zitiere:
- Iteratives Annähren an eine Lösung
- Fehler dienen zum Lernen und sind kein Versagen
- Die Arbeit beruht auf stillen Informationen, nicht auf formalen Grundlagen
- Erfahrung und Austausch sind die wichtigsten Qualifikationsmerkmale, um einen hohen Level zu erreichen
- Entwürfe sind billig und können schnell geändert oder verworfen werden
Es ist erstaunlich, wie gut, diese Eigenschaften zu agiler Entwicklung passen. Austin beschreibt diese Art zu arbeiten als „Innovative Making“ und stellt es in den Gegensatz zum „Industrial Making“, das durch die neue Fähigkeit zur Massenproduktion das 20. Jahrhundert revolutioniert und bestimmt hat. Seine Prognose ist, dass die industrialisierten Produktionsprozesse mehr und mehr in Niedriglohnländer abwandern. Die Fähigkeit zur systematischen Produktion auf Basis des „Innovative Making“ aber kann nicht abgegeben werden. Hier liegt für die Hochlohnländer Europas, Nordamerikas, Australiens und Japan die Chance, eigene Stärken zu entwickeln. Es macht eben keinen Sinn, wenn wir versuchen, Niedriglohnländer im Preiskampf zu unterbieten, weil wir dann auch deren Lebensstandard unterbieten müssten. Wir werden niemals die „besseren Inder“ sein.
Einen interessanten Unterschied hat Rob Austin dennoch ausgemacht. Spitzendesigner halten erstaunlich wenig Kontakt mit ihren Kunden. „Würden wir auf unsere Kunden hören, bauten wir nur das, was die Konkurrenz auch baut. Unsere Produkte spiegeln nicht das wieder, was unsere Kunden wollen, sondern sind so gebaut, dass unsere Kunden ihnen nicht widerstehen können“ sagt der Chef-Designer von Bang&Olufsen in einem der Interviews. Mich hat dieses Zitat spontan an einen Artikel erinnert, den Erik Stein in der Oktoberausgabe des Cutter IT Journal geschrieben hat. Wenn agile Entwicklung sklavisch dem folgt, was der Fachexperte dem Team sagt, wird dort kaum Innovation stattfinden. Erst wenn es gelingt, dass sich Team und Fachexperten gegenseitig befruchten, werden wahrhaft innovative Lösungen entstehen.
Besonders gefreut habe ich mich auch über Urs Reupkes Kurzvortrag zu Crystal – Alistair Cockburns Methodenfamilie, deren Entstehen ich in vielen Diskussionen mit Alistair mitverfolgen durfte. Dass ich nicht mehr der einzige bin in Deutschland, der sich für Alistairs Ideen begeistert, weckt in mir die Hoffnung, Werte und Grundlagen agiler Entwicklung noch ohne aktuelle Hypes und Marketingkampagnen diskutieren zu können. Weiter so, Urs! (<Marketing>Vielleicht gibt mir das ja auch Gelegenheit einmal meinen „Certified Crystal Practitioneer“ in die Waagschale werfen zu können 🙂 </Marketing>)
Ich möchte diesen Blogeintrag nicht schließen, ohne zu betonen, dass ich mich gefreut habe, auf den XPDays viele gute Bekannte aus der agilen Szene wieder zu treffen, wie Henning Wolf, Stefan Roock, Bastian Harmsen und Tammo Freese. Vermisst habe ich unter anderem Frank Westphal und Bernd Oesterreich, schade dass Ihr nicht da wart! Aber auch die vielen neuen Kontakte waren die Reise wert, ich hoffe, möglichst viele von ihnen halten zu können.