Eine beeindruckendes Beispiel für die Kraft einer Vision hat Jared Spool auf der Agile 2009 vorgeführt: Einen Film von Apple unter dem schönen Titel „Knowledge Navigator„. In diesem Film von 1987 zeigt Apple eine Vision von der Anwendung von Computern im Jahr 2010.
Zur Erinnerung: Im Jahr 1987 war der „IBM AT“ Stand der Technik, der immerhin mit einem 80286 und 20-30 MHz ausgestattet war und über MS-DOS bedient wurde. Apple hatte damals schon die Idee der Xerox-Labs aufgegriffen und nach dem Lisa-Flop den ersten Mac auf den Markt gebracht. Und es gab mit dem „Osborne“ auch schon die ersten „tragbaren“ Rechner, die aber eher geeignet waren, die Statik des Schreibtischs zu prüfen, als dass man sie im Zug oder Flugzeug hätte einsetzen können. Das Internet war zu diesem Zeitpunkt ein reines Uni-Netzwerk, das World-Wide-Web noch nicht mal bei Cern erfunden, die E-Mail begann gerade, auch in Deutschland anzukommen und wer „DFÜ“ betreiben wollte, musste sich von Postbeamten versiegelte Modemleitungen in die Wand schrauben lassen, deren Monatsgebühr selbst die Rechnungen vom Finanzamt als erstrebenswerte Mitteilungen erschienen ließen; Übertragungsrate: 56kByte/sec.
In diesem Kontext also entwirft Apple die Vision eines Rechners, der zugleich (Bild-)Telefon ist, wie auch umfassende Wissensquelle zu allen Themen der Welt. Ein Computer, der sich so einfach bedienen lässt, wie ein Buch und ganz normaler Teil des Alltags ist. Und — noch beeindruckender — ein Computer, der frappierende Ähnlichkeiten mit dem iPhone hat! Natürlich haben sich die Apple-Leute in einigen Punkten geirrt: Spracheingabe ist heute nur unwesentlich weiter entwickelt, als vor 23 Jahren und „künstliche Intelligenz“ interessiert heute (fast) nur noch Informatik-Historiker. Dafür übersteigen die Effekte von Web 2.0 und modernen Suchmaschinen offensichtlich auch die gewagtesten Phantasien.
Falls Sie jetzt sagen: „Na ja, Steve Jobbs halt“ ist vielleicht noch das Detail interessant, dass Jobbs zu dieser Zeit nicht bei Apple war, sondern versucht hat, Next aufzubauen. Die Vision entstand unter Leitung von John Sculley
Für mich ist dieses Video der Beleg für die Macht einer kraftvollen Vision: Seit fast einem viertel Jahrhundert arbeitet Apple konsequent daran, diese Vision umzusetzen. Manchmal waren sie ihrer Zeit voraus, wie bei der Lisa oder beim Newton, manchmal haben sie mit der Vision einen scheinbar gesetzten Markt komplett aufgerollt, wie beim iPhone. Eine solche Vision zu finden und konsistent zu verfolgen, sei es für ein Projekt oder auch ein Unternehmen, ist der Kern vieler erstaunlich erfolgreicher Vorhaben. Mittelmäßige Produkte und Projekte mussten in der Regel ohne solche Visionen auskommen und sich statt dessen an kurzfristige Terminpläne und Budgets klammern. Auch Terminpläne und Budgets haben ihre Bedeutung. Wirklich glänzen können sie aber nur, wenn dahinter eine Vision steht — selbst wenn sie nicht so beeidruckend ist, wie die von Apple.
In einem Punk irrst du: „künstliche Intelligenz interessiert heute (fast) nur noch Informatik-Historiker.“ Im Gegenteil: Das ganze nennt sich mittlerweile „Singularity“ und ist (IMHO) fast unvermeidbar.
Verstehe wie Johannes nicht, dass die künstliche Intelligenz heute (fast) nur noch Informatik-Historiker interessieren soll. Klingt für mich, als ob die KI tot sein soll.
KI scheint mir sehr lebendig: Suche (Suchmaschinen), Planen (Simulationen), evolutionäre Algorithmen (Optimierung), Wissensrepräsentationen (semantisches Web), neuronale Netze (Aktienkursentwicklung), Expertensysteme (medizinische Diagnose), usw.
Aber ich schreibe auch etwas Liebes 🙂 Einen schönen Aspekt von Jared Spools Agile-2009-Keynote hast Du da raus gegriffen. Fand Spools Vortrag sehr, sehr gut und fand auch schön, dass er die Power von Visionen mit dem Apple-Video verdeutlicht hat.
Hallo Johannes,
Hallo Bernd,
wie immer habt Ihr Recht: Politisch korrekt hätte ich natürlich schreiben müssen „die damaligen Vorstellungen über künstliche Intelligenz interessieren heute (fast) nur noch Informatik-Historiker“. Die Idee, man könne durch die Analyse von Expertenentscheidungen und Aufbau entsprechend gewichteter Entscheidungsbäume intelligentes Verhalten simulieren ignoriert, dass intelligente Entscheidungen zu großen Teilen auf implizitem Wissen beruhen und damit eben nicht in dieser Form explizierbar sind. Aber diese Begriffsbildung stammt aus dem Jahr 1985. Die Rolle solcher „Expertensysteme“ wird meines Erachtens noch immer überschätzt: Die einzig mir bekannte breitere Anwendung ist in vollautomatischen Diagnosesystemen für medizinische Laien, wie zum Beispiel in öffentlichen Defibrillatoren.
Dass lernende und evolutionäre Systeme und Simulationen neuronaler Abläufe heute viel näher an wirklich intelligentem Verhalten sind, ist sicher auch richtig.
Jens